Das Warmduschen

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Ich stehe im Freibad. Aber nicht irgendwo, sondern ganz oben – am Sprungbrett des 10 Meter Turms. Meine nackten Sohlen fühlen den feuchten gummiartigen Bezug unter meinen Füßen und ich weiß nicht, ob sie vom angstschwitzen nass sind, oder vom Boden selbst.

Ich blicke nach unten in das winzige Becken, das in 10 Metern Entfernung wie ein Witz aussieht. Ein Witz, in den ich bald Arsch voraus reinspringen werde. Mein Mund und mein Körper fühlen sich staubtrocken und wüstig an. Unten wartet Elise mit ihrer Hand waagrecht über den Augenbrauen darauf, dass ich mich endlich traue. Ich traue mich ja sonst nix.

Dass ich hier dort oben stehen muss und in den Beckenwitz hineinspringe (vielleicht), hat natürlich, wie alle bescheuerten Ideen, eine Wette zugrunde. Sonst würde ja kein Mensch ins buchstäbliche kalte Wasser springen, wenn er nicht muss. Ich habe mit Elise betrunken (alles andere als trocken) gewettet, dass sie sich nicht traut den zehn Meter weit entfernten „Schwimmer“ in der Bar anzusprechen. „Schwimmer“ deshalb, weil er einfach so aussah (ein 1,90 Meter großes V).

Elise traute sich natürlich und hätte ich nicht aufgrund meines besten Freundes, dem Weinglas, nur noch eine statt zwei Hemisphären zum Denken gehabt, wäre ich die Wette auch nicht eingegangen . Mein Wetteinsatz beinhaltete demnach auch irgendwas mit 10 Metern und Schwimmen, also landete ich eben hier. Am Sprungbrett, trocken und ohne Würde.

Trotzdem habe ich Elisa zuvor gefragt, wie sie sich denn überwinden konnte den V-Mann anzusprechen und sie meinte nur schulterzuckend, dass sie sich einfach schon auf das Schlimmste vorbereitet hätte. Auf meine „wie denn?“ Frage sagte sie dann nur, dass in jener Bar neben unserem Schwimmer noch ein anderer Beau an der Theke saß, den ich und mein bester Freund das Weinglas, übersahen, weil wir ja nur noch über ein halbes Hirn verfügten. Dieser Beau sah anscheinend noch viel schöner und attraktiver aus als unser Schwimmer, fast wie einer von Baywatch.

Elisa meinte, sie hätte, bevor sie V1 angesprochen hätte, kurz den schöneren V2 angeschlichen und sich dort eine Abfuhr geholt. Nach dieser tat der zweite, ein bisschen netter überreichte Korb von V2 eigentlich gar nicht mehr so weh und Überwindung war es sowieso keine mehr. Ich denke nach, während Elisa winkt und am Beckenwitz entlang hüpft.

Stimmt, denke ich. Wenn schlimme Dinge passieren, wirken andere, ein bisschen weniger schlimme Dinge auf einmal nicht mehr so furchtbar. Wenn ich mich von meinem Freund trenne, jammere ich nicht über PMS. Wenn ich mich in die Lippe beiße, finde ich es nicht so schlimm, wenn das Essen fad schmeckt. Muss ich auf ein Modern Talking Konzert, klingt spontan krank zu werden gar nicht mehr so übel. Das beste Mittel gegen Schlimmes ist also anderes, noch viel größeres Schlimmes? Wie sagt Alanis Morrissette? „And it would knock me down to the floor, if I wasn´t there already“.

Versteinert mit Schwitzefuß drehe ich meinen Kopf zum Ende des Sprungbretts und entdecke ganz am Ende bei den Stiegen eine Dusche. Schnell hechte ich in ihre Richtung und drehe sie auf. In Schockatmung lasse ich das klirrend kalte Eiswasser langsam meinen Staubkörper einfrieren.

Ohne weiter darüber nachzudenken, fetze ich zur Rampe, forme noch schnell ein V mit Mittel- und Zeigefinger und springe mit einem Satz in den Beckenwitz, der sich rasend meinem Hintern nähert. Innerhalb kürzester Zeit, erreiche ich das Beckenwasser, das mich in seine lauwarmen Wassermengen hüllt, die im Gegensatz zur Stalin-Dusche zuvor wie ein Whirlpool wirken. Es stimmt schon, denke ich während ich unter Wasser meinen Bikini suche. Manchmal muss man eben ins kalte Wasser springen. Aber niemand sagt, dass man vorher nicht eiskalt duschen darf.

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