No man is an island

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Ich sitze in einem Park Elise gegenüber, die genau wie ich auf einem riesigen Stein thront und den Schneidersitz gerade noch so hinkriegt. Elise sagt, sie werde, nun da diese eine Beziehung (in Anführungszeichen) mit Tobi nicht funktioniert habe, nie (nie nie) wieder eine neue eingehen. Das sei nun endlich in Stein gemeißelt.

Wir sitzen uns noch immer gegenüber, mit einem Meter Abstand vielleicht, und ich bin mir nicht mehr ganz sicher, ob Elisa nun auf einem Stein sitzt oder Elise selbst der Stein ist. Seit sie bei Tobi sprichwörtlich auf Granit gebissen hat, wurde exakt fünfeinhalb Nächte geweint. Dann kam nichts mehr.

So sehr nichts, dass ich bald Angst kriegte. Seit der fünfeinhalbsten Nacht sitzt mir Elise auf Couchen, in Bars und auf Steinen gegenüber und hat mittlerweile ihr angerührtes zwischenmenschliches Zement trocknen lassen. Was danach übrig blieb, war ein auswendiggelernter Gesichtsausdruck, ein grundsolider „Mir-geht’s-gut“-Satz und blutleere Bewusstlosigkeit.

Ich weiß nicht, was in der fünfeinhalbten Nacht genau passierte. Aber seit diesem Morgen in unserer WG- Küche nenne ich sie Medusa. Nur, dass sie eben nicht wie die echte Medusa andere Leute in Stein verwandelt, sondern sich selbst. Selbst das in den Arm nehmen habe ich bald sein lassen, weil sich das immer kälter und härter anfühlte. An so einer Umarmung kann man sich schon leicht den Arm und das Herz brechen, wenn jenes überhaupt noch schlägt, unter der Verkalkung.

Weißt du, irgendwann musst du deine Festung auch wieder einreißen“, schreie ich ihr auf die andere Steininsel entgegen. Darauf meint Elise aber nur versteinert, dass sie gar kein Interesse daran hätte, jemals wieder Gäste in ihrer Burg zu empfangen. Das hätte das letzte Mal auch nur alles schlimmer gemacht und alle Tassen in ihrem Schrank zerbrochen. Gerade eben sei sie erst wieder fertig geworden, mit dem Zusammenkleben der Scherben und dem Pflasterkleben auf ihre Schnittwunden.

In der fünfeinhalbten Nacht dann, hätte sie eben bemerkt, dass auch endlich Hornhaut über ihre Schnitte gewachsen sei und sie so nun gar nichts mehr fühle. Fände sie gut. Ich lasse ein paar Kieselsteine durch meine Hände rieseln, die überall auf meiner großen Steininsel wohnen. Schnell nehme ich eine Hand voll und werfe sie zu Elisa hinüber, die sofort „aua“ schreit.

Siehst du, du fühlst schon noch“, zwinkere ich ihr zu und weiß aber eh ganz genau, dass das etwas ganz anderes ist. Elise summt eine Melodie, die ich kenne. Spätestens beim Refrain steige ich ein und schreie mit ihr zusammen den Simon and Garfunkel Song „I am a rock, i am and island“. Wie sagen sie da? „and a rock feels no pain and an island never cries – If I never loved, I never would have cried?“. Kann man so tatsächlich leben? „No man is an island“ sagte doch einst John Donne und wird wahnsinnig oft damit zitiert, also muss ja was dran sein.

Ich strecke meine Hand so weit wie möglich nach Medusa aus. Als sie sich endlich dazu überreden kann, mir auch ihre Hand hinzuhalten, falle ich nach vorne und kralle mich mit einem Fuß auf meiner Insel und mit meinen Fingern an ihrer Hand fest. „Wir sind zumindest eine Inselkette“, lache ich und das erste Mal seit der fünfeinhalbten Nacht, wechselt Elise wieder ihren Gesichtsausdruck. Fast sieht sie aus, als wäre ihr ein Stein vom Herzen gefallen.

Ich springe von meiner Insel auf ihre, drücke sie auf den Boden und nehme sie brutal in den Arm. Vor lauter Lachen verschluckt sich Elise und muss furchtbar husten. Ich klopfe ihr auf den Rücken und sage ihr, dass alles gut wird. Ich schwöre, dass dabei ein bisschen Kalk aus ihrem Mund gekommen ist.

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